Im kleinen, aber feinen, Atelier von Annelen Kaiser fällt der Blick schnell auf den großen Schneidertisch, denn der weckt Erinnerungen. Als Kinder genossen wir auf einem solchen Tisch unseren Logenplatz, wenn wir den Großonkel besuchten, der als Schneider in Ostwestfalen zuhause war. Selbst die besondere Form der Zuschneideschere kommt mir auch nach Jahrzehnten seltsam bekannt vor. „Die habe ich von meiner Ururoma, die war Weißnäherin“, erklärt Annelen Kaiser. „Ein wenig familiär vorbelastet war ich wohl, als es um meine berufliche Entscheidung ging. Die Schere hatte damals übrigens einen hohen Wert, denn damit hatte man etwas, womit man sein Geld verdienen konnte. Die Abrundungen vorn an der Schere schonen empfindliche Stoff e, man vermeidet damit Löcher.“

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Sie ist Maßschneiderin, sogar eine Meisterin ihres Fachs, liebt ihren Beruf, das spürt man sofort, und ist stolz auf die breite Palette ihrer Erzeugnisse. Die nämlich reicht vom Königinnenkleid über ein Wrestler-Outfit bis zur Nonnentracht und passgenaue Maßanzüge. Alle Produkte haben dabei ihre Besonderheiten, was die Wahl des Materials, die Schnitte oder spezifische Kundenwünsche anbelangt. „Seidensatin zum Beispiel ist sehr herausfordernd, weil es super rutschig ist und sehr feine Nadeln benötigt“, sagt sie und präsentiert ihren „Spezial-Karton“, in dem sie ihre besonderen Werkzeug-Schätze hütet. „Das hier ist eine Nadel, die eigentlich in der Chirurgie verwendet wird“, sagt sie lachend, und ich muss zugeben, beim Anblick dieser Mini-Nadel einen etwas sprachlosen Moment erlebt zu haben.

Was schnell auffällt: Annelen Kaiser redet über unterschiedlichste Themen wie Oldtimer oder die Qualität von Bilderrahmen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Sachkenntnis wie über Stoffe, Scheren und Schnitte.

Wie alles anfing

Dabei war es gar nicht so einfach, ihren eher seltenen Berufswunsch nach dem Realschulabschluss im Jahr 2005 zu realisieren. Im Hochsauerland existieren nur wenige Meisterbetriebe, und kaum einer bildet auch aus. Mit etwas Glück und ein wenig Beharrlichkeit tat sich für Annelen Kaiser schließlich doch noch eine Chance auf, und das an einer Stelle, an der man es kaum vermutet hätte: Bruder Andreas, Schneider des Klosters Königsmünster in Meschede, erklärte sich im Alter von 75 Jahren bereit, die Ausbildung zur „Maßschneiderin, Fachrichtung Herren“ (2005 bis 2008) zu übernehmen. „Das war ganz großartig“, erinnert sich Annelen Kaiser, „denn schon der Vater von Bruder Andreas war Schneider. So konnte ich insgesamt auf ein rund 100-jähriges Wissen zurückgreifen und nutze es auch heute immer wieder.“

Das Leben „an der Nadel“

Nach der Lehre orientierte sich Annelen Kaiser nach Havixbeck bei Münster, wo sie bis 2020 in der Textilrestaurierung tätig war, zunächst als Mitarbeiterin, ab 2013 dann nach bestandener Meisterprüfung - „ohne Unterteilung in Damen und Herren“, darauf legt sie zu Recht Wert als Selbstständige. Gleichzeitig betrieb sie ein eigenes, kleines Atelier in ihrem Elternhaus in Linnepe.

Vor zwei Jahren konnte sie in Weninghausen bei Sundern gemeinsam mit ihrem Ehemann endlich ein eigenes Haus mit einem großzügigeren Raumangebot beziehen, inklusive zwei Räumen mit dem nötigen Platz zur Entfaltung und viel Licht für ihren Beruf. Maßgeschneidert, möchte man sagen. Die Kundschaft, die nicht nur aus der Nähe, sondern auch aus Münster, Bochum oder Soest zu ihr kommt, weiß das zu schätzen.

Hier hat sie von März bis Anfang August Hochsaison, wenn sie für Schützenfeste oder Hochzeiten aus einem Ballen Stoff und Tüll mit ihrer ganzen Kreativität hochwertige Einzelstücke zaubert. Annelen Kaiser: „An Urlaub ist da nicht zu denken, vielleicht mal ein Wochenende, aber das muss schon gut gewählt sein.“ Wie ist das auf lange Sicht? „Man sagt, man hängt ein Leben lang an der Nadel. Es gibt so viele alte Schneider, auch weil wenig ausgebildet wird. Die am längsten durchhalten, die gibt es noch.“

Ein Beruf mit Zukunft?

Ist Maßschneiderin in einer Zeit von Massenware und Preiskämpfen ein Beruf mit Zukunft? Vielleicht gerade deswegen, denn: „Wie soll das gehen ohne Menschen wie Annelen Kaiser aus Weninghausen, bei der so viel Einzigartiges und Beständiges entsteht“, denke ich, während sie mit Schneiderkreide um die Konturen der auf den Stoff gelegten Schnitte zirkelt und sie auf den dunklen Tweed überträgt, mit fast schlafwandlerischer Sicherheit und Präzision, so leicht und scheinbar mühelos, wie es ja generell nur die Erfahrenen und Guten aus dem Handwerk hinbekommen.

Gerne würde sie ausbilden, kann diese Idee aber zu ihrem Bedauern nicht umsetzen: „Leider habe ich nicht die räumlichen Kapazitäten und die durchgängig hohe Auslastung in meinem Atelier, um eine Auszubildende oder einen Auszubildenden zu beschäftigen. Nach der Anhebung der Mindestausbildungsvergütung ist das für mich als Ein-Frau-Betrieb leider nicht zu bezahlen. Schade, da doch sonst dieses vielfältige Handwerk auszusterben droht.“

Dennoch liebt sie ihren Beruf: „Ich schaffe Zeitloses mit meinen Händen“, sagt sie ruhig und bestimmt mit dieser schnörkellosen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz. Es kann so einfach sein, wenn man mit sich und seinem Beruf im Reinen ist. „Ich bewahre alle Schnitte auf, das habe ich so gelernt, und das war auch gut so“, erklärt sie mir noch, „denn wenn die Kunden wiederkommen, muss ich die Muster nur aus dem Regal ziehen.“

Und sie werden wiederkommen, Annelen, ganz bestimmt.

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Im kleinen, aber feinen, Atelier von Annelen Kaiser fällt der Blick schnell auf den großen Schneidertisch, denn der weckt Erinnerungen. Als Kinder genossen wir auf einem solchen Tisch unseren Logenplatz, wenn wir den Großonkel besuchten, der als Schneider in Ostwestfalen zuhause war. Selbst die besondere Form der Zuschneideschere kommt mir auch nach Jahrzehnten seltsam bekannt vor. „Die habe ich von meiner Ururoma, die war Weißnäherin“, erklärt Annelen Kaiser. „Ein wenig familiär vorbelastet war ich wohl, als es um meine berufliche Entscheidung ging. Die Schere hatte damals übrigens einen hohen Wert, denn damit hatte man etwas, womit man sein Geld verdienen konnte. Die Abrundungen vorn an der Schere schonen empfindliche Stoff e, man vermeidet damit Löcher.“

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Sie ist Maßschneiderin, sogar eine Meisterin ihres Fachs, liebt ihren Beruf, das spürt man sofort, und ist stolz auf die breite Palette ihrer Erzeugnisse. Die nämlich reicht vom Königinnenkleid über ein Wrestler-Outfit bis zur Nonnentracht und passgenaue Maßanzüge. Alle Produkte haben dabei ihre Besonderheiten, was die Wahl des Materials, die Schnitte oder spezifische Kundenwünsche anbelangt. „Seidensatin zum Beispiel ist sehr herausfordernd, weil es super rutschig ist und sehr feine Nadeln benötigt“, sagt sie und präsentiert ihren „Spezial-Karton“, in dem sie ihre besonderen Werkzeug-Schätze hütet. „Das hier ist eine Nadel, die eigentlich in der Chirurgie verwendet wird“, sagt sie lachend, und ich muss zugeben, beim Anblick dieser Mini-Nadel einen etwas sprachlosen Moment erlebt zu haben.

Was schnell auffällt: Annelen Kaiser redet über unterschiedlichste Themen wie Oldtimer oder die Qualität von Bilderrahmen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Sachkenntnis wie über Stoffe, Scheren und Schnitte.

Wie alles anfing

Dabei war es gar nicht so einfach, ihren eher seltenen Berufswunsch nach dem Realschulabschluss im Jahr 2005 zu realisieren. Im Hochsauerland existieren nur wenige Meisterbetriebe, und kaum einer bildet auch aus. Mit etwas Glück und ein wenig Beharrlichkeit tat sich für Annelen Kaiser schließlich doch noch eine Chance auf, und das an einer Stelle, an der man es kaum vermutet hätte: Bruder Andreas, Schneider des Klosters Königsmünster in Meschede, erklärte sich im Alter von 75 Jahren bereit, die Ausbildung zur „Maßschneiderin, Fachrichtung Herren“ (2005 bis 2008) zu übernehmen. „Das war ganz großartig“, erinnert sich Annelen Kaiser, „denn schon der Vater von Bruder Andreas war Schneider. So konnte ich insgesamt auf ein rund 100-jähriges Wissen zurückgreifen und nutze es auch heute immer wieder.“

Das Leben „an der Nadel“

Nach der Lehre orientierte sich Annelen Kaiser nach Havixbeck bei Münster, wo sie bis 2020 in der Textilrestaurierung tätig war, zunächst als Mitarbeiterin, ab 2013 dann nach bestandener Meisterprüfung - „ohne Unterteilung in Damen und Herren“, darauf legt sie zu Recht Wert als Selbstständige. Gleichzeitig betrieb sie ein eigenes, kleines Atelier in ihrem Elternhaus in Linnepe.

Vor zwei Jahren konnte sie in Weninghausen bei Sundern gemeinsam mit ihrem Ehemann endlich ein eigenes Haus mit einem großzügigeren Raumangebot beziehen, inklusive zwei Räumen mit dem nötigen Platz zur Entfaltung und viel Licht für ihren Beruf. Maßgeschneidert, möchte man sagen. Die Kundschaft, die nicht nur aus der Nähe, sondern auch aus Münster, Bochum oder Soest zu ihr kommt, weiß das zu schätzen.

Hier hat sie von März bis Anfang August Hochsaison, wenn sie für Schützenfeste oder Hochzeiten aus einem Ballen Stoff und Tüll mit ihrer ganzen Kreativität hochwertige Einzelstücke zaubert. Annelen Kaiser: „An Urlaub ist da nicht zu denken, vielleicht mal ein Wochenende, aber das muss schon gut gewählt sein.“ Wie ist das auf lange Sicht? „Man sagt, man hängt ein Leben lang an der Nadel. Es gibt so viele alte Schneider, auch weil wenig ausgebildet wird. Die am längsten durchhalten, die gibt es noch.“

Ein Beruf mit Zukunft?

Ist Maßschneiderin in einer Zeit von Massenware und Preiskämpfen ein Beruf mit Zukunft? Vielleicht gerade deswegen, denn: „Wie soll das gehen ohne Menschen wie Annelen Kaiser aus Weninghausen, bei der so viel Einzigartiges und Beständiges entsteht“, denke ich, während sie mit Schneiderkreide um die Konturen der auf den Stoff gelegten Schnitte zirkelt und sie auf den dunklen Tweed überträgt, mit fast schlafwandlerischer Sicherheit und Präzision, so leicht und scheinbar mühelos, wie es ja generell nur die Erfahrenen und Guten aus dem Handwerk hinbekommen.

Gerne würde sie ausbilden, kann diese Idee aber zu ihrem Bedauern nicht umsetzen: „Leider habe ich nicht die räumlichen Kapazitäten und die durchgängig hohe Auslastung in meinem Atelier, um eine Auszubildende oder einen Auszubildenden zu beschäftigen. Nach der Anhebung der Mindestausbildungsvergütung ist das für mich als Ein-Frau-Betrieb leider nicht zu bezahlen. Schade, da doch sonst dieses vielfältige Handwerk auszusterben droht.“

Dennoch liebt sie ihren Beruf: „Ich schaffe Zeitloses mit meinen Händen“, sagt sie ruhig und bestimmt mit dieser schnörkellosen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz. Es kann so einfach sein, wenn man mit sich und seinem Beruf im Reinen ist. „Ich bewahre alle Schnitte auf, das habe ich so gelernt, und das war auch gut so“, erklärt sie mir noch, „denn wenn die Kunden wiederkommen, muss ich die Muster nur aus dem Regal ziehen.“

Und sie werden wiederkommen, Annelen, ganz bestimmt.

Im kleinen, aber feinen, Atelier von Annelen Kaiser fällt der Blick schnell auf den großen Schneidertisch, denn der weckt Erinnerungen. Als Kinder genossen wir auf einem solchen Tisch unseren Logenplatz, wenn wir den Großonkel besuchten, der als Schneider in Ostwestfalen zuhause war. Selbst die besondere Form der Zuschneideschere kommt mir auch nach Jahrzehnten seltsam bekannt vor. „Die habe ich von meiner Ururoma, die war Weißnäherin“, erklärt Annelen Kaiser. „Ein wenig familiär vorbelastet war ich wohl, als es um meine berufliche Entscheidung ging. Die Schere hatte damals übrigens einen hohen Wert, denn damit hatte man etwas, womit man sein Geld verdienen konnte. Die Abrundungen vorn an der Schere schonen empfindliche Stoff e, man vermeidet damit Löcher.“

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Sie ist Maßschneiderin, sogar eine Meisterin ihres Fachs, liebt ihren Beruf, das spürt man sofort, und ist stolz auf die breite Palette ihrer Erzeugnisse. Die nämlich reicht vom Königinnenkleid über ein Wrestler-Outfit bis zur Nonnentracht und passgenaue Maßanzüge. Alle Produkte haben dabei ihre Besonderheiten, was die Wahl des Materials, die Schnitte oder spezifische Kundenwünsche anbelangt. „Seidensatin zum Beispiel ist sehr herausfordernd, weil es super rutschig ist und sehr feine Nadeln benötigt“, sagt sie und präsentiert ihren „Spezial-Karton“, in dem sie ihre besonderen Werkzeug-Schätze hütet. „Das hier ist eine Nadel, die eigentlich in der Chirurgie verwendet wird“, sagt sie lachend, und ich muss zugeben, beim Anblick dieser Mini-Nadel einen etwas sprachlosen Moment erlebt zu haben.

Was schnell auffällt: Annelen Kaiser redet über unterschiedlichste Themen wie Oldtimer oder die Qualität von Bilderrahmen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Sachkenntnis wie über Stoffe, Scheren und Schnitte.

Wie alles anfing

Dabei war es gar nicht so einfach, ihren eher seltenen Berufswunsch nach dem Realschulabschluss im Jahr 2005 zu realisieren. Im Hochsauerland existieren nur wenige Meisterbetriebe, und kaum einer bildet auch aus. Mit etwas Glück und ein wenig Beharrlichkeit tat sich für Annelen Kaiser schließlich doch noch eine Chance auf, und das an einer Stelle, an der man es kaum vermutet hätte: Bruder Andreas, Schneider des Klosters Königsmünster in Meschede, erklärte sich im Alter von 75 Jahren bereit, die Ausbildung zur „Maßschneiderin, Fachrichtung Herren“ (2005 bis 2008) zu übernehmen. „Das war ganz großartig“, erinnert sich Annelen Kaiser, „denn schon der Vater von Bruder Andreas war Schneider. So konnte ich insgesamt auf ein rund 100-jähriges Wissen zurückgreifen und nutze es auch heute immer wieder.“

Das Leben „an der Nadel“

Nach der Lehre orientierte sich Annelen Kaiser nach Havixbeck bei Münster, wo sie bis 2020 in der Textilrestaurierung tätig war, zunächst als Mitarbeiterin, ab 2013 dann nach bestandener Meisterprüfung - „ohne Unterteilung in Damen und Herren“, darauf legt sie zu Recht Wert als Selbstständige. Gleichzeitig betrieb sie ein eigenes, kleines Atelier in ihrem Elternhaus in Linnepe.

Vor zwei Jahren konnte sie in Weninghausen bei Sundern gemeinsam mit ihrem Ehemann endlich ein eigenes Haus mit einem großzügigeren Raumangebot beziehen, inklusive zwei Räumen mit dem nötigen Platz zur Entfaltung und viel Licht für ihren Beruf. Maßgeschneidert, möchte man sagen. Die Kundschaft, die nicht nur aus der Nähe, sondern auch aus Münster, Bochum oder Soest zu ihr kommt, weiß das zu schätzen.

Hier hat sie von März bis Anfang August Hochsaison, wenn sie für Schützenfeste oder Hochzeiten aus einem Ballen Stoff und Tüll mit ihrer ganzen Kreativität hochwertige Einzelstücke zaubert. Annelen Kaiser: „An Urlaub ist da nicht zu denken, vielleicht mal ein Wochenende, aber das muss schon gut gewählt sein.“ Wie ist das auf lange Sicht? „Man sagt, man hängt ein Leben lang an der Nadel. Es gibt so viele alte Schneider, auch weil wenig ausgebildet wird. Die am längsten durchhalten, die gibt es noch.“

Ein Beruf mit Zukunft?

Ist Maßschneiderin in einer Zeit von Massenware und Preiskämpfen ein Beruf mit Zukunft? Vielleicht gerade deswegen, denn: „Wie soll das gehen ohne Menschen wie Annelen Kaiser aus Weninghausen, bei der so viel Einzigartiges und Beständiges entsteht“, denke ich, während sie mit Schneiderkreide um die Konturen der auf den Stoff gelegten Schnitte zirkelt und sie auf den dunklen Tweed überträgt, mit fast schlafwandlerischer Sicherheit und Präzision, so leicht und scheinbar mühelos, wie es ja generell nur die Erfahrenen und Guten aus dem Handwerk hinbekommen.

Gerne würde sie ausbilden, kann diese Idee aber zu ihrem Bedauern nicht umsetzen: „Leider habe ich nicht die räumlichen Kapazitäten und die durchgängig hohe Auslastung in meinem Atelier, um eine Auszubildende oder einen Auszubildenden zu beschäftigen. Nach der Anhebung der Mindestausbildungsvergütung ist das für mich als Ein-Frau-Betrieb leider nicht zu bezahlen. Schade, da doch sonst dieses vielfältige Handwerk auszusterben droht.“

Dennoch liebt sie ihren Beruf: „Ich schaffe Zeitloses mit meinen Händen“, sagt sie ruhig und bestimmt mit dieser schnörkellosen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz. Es kann so einfach sein, wenn man mit sich und seinem Beruf im Reinen ist. „Ich bewahre alle Schnitte auf, das habe ich so gelernt, und das war auch gut so“, erklärt sie mir noch, „denn wenn die Kunden wiederkommen, muss ich die Muster nur aus dem Regal ziehen.“

Und sie werden wiederkommen, Annelen, ganz bestimmt.

Im kleinen, aber feinen, Atelier von Annelen Kaiser fällt der Blick schnell auf den großen Schneidertisch, denn der weckt Erinnerungen. Als Kinder genossen wir auf einem solchen Tisch unseren Logenplatz, wenn wir den Großonkel besuchten, der als Schneider in Ostwestfalen zuhause war. Selbst die besondere Form der Zuschneideschere kommt mir auch nach Jahrzehnten seltsam bekannt vor. „Die habe ich von meiner Ururoma, die war Weißnäherin“, erklärt Annelen Kaiser. „Ein wenig familiär vorbelastet war ich wohl, als es um meine berufliche Entscheidung ging. Die Schere hatte damals übrigens einen hohen Wert, denn damit hatte man etwas, womit man sein Geld verdienen konnte. Die Abrundungen vorn an der Schere schonen empfindliche Stoff e, man vermeidet damit Löcher.“

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Sie ist Maßschneiderin, sogar eine Meisterin ihres Fachs, liebt ihren Beruf, das spürt man sofort, und ist stolz auf die breite Palette ihrer Erzeugnisse. Die nämlich reicht vom Königinnenkleid über ein Wrestler-Outfit bis zur Nonnentracht und passgenaue Maßanzüge. Alle Produkte haben dabei ihre Besonderheiten, was die Wahl des Materials, die Schnitte oder spezifische Kundenwünsche anbelangt. „Seidensatin zum Beispiel ist sehr herausfordernd, weil es super rutschig ist und sehr feine Nadeln benötigt“, sagt sie und präsentiert ihren „Spezial-Karton“, in dem sie ihre besonderen Werkzeug-Schätze hütet. „Das hier ist eine Nadel, die eigentlich in der Chirurgie verwendet wird“, sagt sie lachend, und ich muss zugeben, beim Anblick dieser Mini-Nadel einen etwas sprachlosen Moment erlebt zu haben.

Was schnell auffällt: Annelen Kaiser redet über unterschiedlichste Themen wie Oldtimer oder die Qualität von Bilderrahmen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Sachkenntnis wie über Stoffe, Scheren und Schnitte.

Wie alles anfing

Dabei war es gar nicht so einfach, ihren eher seltenen Berufswunsch nach dem Realschulabschluss im Jahr 2005 zu realisieren. Im Hochsauerland existieren nur wenige Meisterbetriebe, und kaum einer bildet auch aus. Mit etwas Glück und ein wenig Beharrlichkeit tat sich für Annelen Kaiser schließlich doch noch eine Chance auf, und das an einer Stelle, an der man es kaum vermutet hätte: Bruder Andreas, Schneider des Klosters Königsmünster in Meschede, erklärte sich im Alter von 75 Jahren bereit, die Ausbildung zur „Maßschneiderin, Fachrichtung Herren“ (2005 bis 2008) zu übernehmen. „Das war ganz großartig“, erinnert sich Annelen Kaiser, „denn schon der Vater von Bruder Andreas war Schneider. So konnte ich insgesamt auf ein rund 100-jähriges Wissen zurückgreifen und nutze es auch heute immer wieder.“

Das Leben „an der Nadel“

Nach der Lehre orientierte sich Annelen Kaiser nach Havixbeck bei Münster, wo sie bis 2020 in der Textilrestaurierung tätig war, zunächst als Mitarbeiterin, ab 2013 dann nach bestandener Meisterprüfung - „ohne Unterteilung in Damen und Herren“, darauf legt sie zu Recht Wert als Selbstständige. Gleichzeitig betrieb sie ein eigenes, kleines Atelier in ihrem Elternhaus in Linnepe.

Vor zwei Jahren konnte sie in Weninghausen bei Sundern gemeinsam mit ihrem Ehemann endlich ein eigenes Haus mit einem großzügigeren Raumangebot beziehen, inklusive zwei Räumen mit dem nötigen Platz zur Entfaltung und viel Licht für ihren Beruf. Maßgeschneidert, möchte man sagen. Die Kundschaft, die nicht nur aus der Nähe, sondern auch aus Münster, Bochum oder Soest zu ihr kommt, weiß das zu schätzen.

Hier hat sie von März bis Anfang August Hochsaison, wenn sie für Schützenfeste oder Hochzeiten aus einem Ballen Stoff und Tüll mit ihrer ganzen Kreativität hochwertige Einzelstücke zaubert. Annelen Kaiser: „An Urlaub ist da nicht zu denken, vielleicht mal ein Wochenende, aber das muss schon gut gewählt sein.“ Wie ist das auf lange Sicht? „Man sagt, man hängt ein Leben lang an der Nadel. Es gibt so viele alte Schneider, auch weil wenig ausgebildet wird. Die am längsten durchhalten, die gibt es noch.“

Ein Beruf mit Zukunft?

Ist Maßschneiderin in einer Zeit von Massenware und Preiskämpfen ein Beruf mit Zukunft? Vielleicht gerade deswegen, denn: „Wie soll das gehen ohne Menschen wie Annelen Kaiser aus Weninghausen, bei der so viel Einzigartiges und Beständiges entsteht“, denke ich, während sie mit Schneiderkreide um die Konturen der auf den Stoff gelegten Schnitte zirkelt und sie auf den dunklen Tweed überträgt, mit fast schlafwandlerischer Sicherheit und Präzision, so leicht und scheinbar mühelos, wie es ja generell nur die Erfahrenen und Guten aus dem Handwerk hinbekommen.

Gerne würde sie ausbilden, kann diese Idee aber zu ihrem Bedauern nicht umsetzen: „Leider habe ich nicht die räumlichen Kapazitäten und die durchgängig hohe Auslastung in meinem Atelier, um eine Auszubildende oder einen Auszubildenden zu beschäftigen. Nach der Anhebung der Mindestausbildungsvergütung ist das für mich als Ein-Frau-Betrieb leider nicht zu bezahlen. Schade, da doch sonst dieses vielfältige Handwerk auszusterben droht.“

Dennoch liebt sie ihren Beruf: „Ich schaffe Zeitloses mit meinen Händen“, sagt sie ruhig und bestimmt mit dieser schnörkellosen Mischung aus Bescheidenheit und Stolz. Es kann so einfach sein, wenn man mit sich und seinem Beruf im Reinen ist. „Ich bewahre alle Schnitte auf, das habe ich so gelernt, und das war auch gut so“, erklärt sie mir noch, „denn wenn die Kunden wiederkommen, muss ich die Muster nur aus dem Regal ziehen.“

Und sie werden wiederkommen, Annelen, ganz bestimmt.

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