Das Sauerland ist mehr als eine Postleitzahl
Alex Paust wurde 1945 in Arnsberg-Voßwinkel geboren, lebt dort und kennt sich nicht nur umfassend in der Regionalgeschichte aus, sondern hinterfragt und erkundet sie mit Hingabe, und versucht darüber hinaus, seine Mitbürger/innen für die Pflege der Voßwinkler Geschichte zu begeistern. Kurzum: Er lebt und brennt für seine Heimat Voßwinkel und erklärt, warum er das für „völlig normal hält“:
Schon der Ortsname Voßwinkel vermittelt das Gefühl von Gemütlichkeit, Ruhe und Friedlichkeit. Er setzt sich wohl aus dem plattdeutschen ‚Voß‘ für Fuchs und ‚Winkel‘ für einen abgelegenen Ort zusammen, also ein wenig mit dem ‚Wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen‘ zu vergleichen.
Heute ist Voßwinkel ein Stadtteil von Arnsberg. Seine Geschichte reicht weit zurück. Das Kloster Oelinghausen erwähnt 1214 eine Kirche in Voßwinkel.
Bis ins 19. Jahrhundert gab es zwar kleinere Ziegeleien (insbes. Bodenbrand), aber überwiegend war Voßwinkel eine rein bäuerliche Gemeinde mit Kleinhandwerkern und Kleindienstleistern. Erst 1871 gründeten die Gebrüder Cosack eine nennenswerte Fabrik für Polsternägel mit über 100 Beschäftigten. 1897 erhielt Voßwinkel einen eigenen Bahnhof, 1921 wurde es an das elektrische Netz angeschlossen. Im Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Lager mit Zwangsarbeitern. 1975 verlor Voßwinkel seine Selbstständigkeit und wurde zum Stadtteil von Arnsberg. Soweit die arg verkürzte Geschichte von Voßwinkel.

Was genau treibt Sie an, sich so intensiv mit der Heimatgeschichte zu befassen?
Mein Lebensmotto „Engagement tut not und gut“ besteht schon seit meiner Kindheit: Mein Engagement als Messdiener in der Kirche, in einer Volkstanzgruppe im SGV, internationale Begegnungen in England und Frankreich, und meine politische Arbeit seit 1970 haben mir geholfen, die Sorgen und Nöte der Mitmenschen ernst zu nehmen und in politisches Handeln und Entscheiden umzusetzen. Dieses Motto bestimmt auch heute noch mein Leben. Mit meinem Engagement für die Heimatgeschichte setze ich nicht nur mein Motto um, sondern lebe auch meine Begeisterung für die Notwendigkeit einer bzw. meiner geschichtlichen und sozialen Heimat hier in Voßwinkel mit meinen Mitbürger/innen.
Welche Hobbys haben Sie?
Reisen, in mehr als 40 Jahren habe ich fast „die ganze Welt“ bereist und Land und Leute kennengelernt. Sport, Skifahren und Joggen halten mich auch im Alter fit.
Die Arbeit in der Dorfgemeinschaft Voßwinkel schenkt mir nicht nur geistige Beweglichkeit, sondern vor allem ganz viel Freude an und in der Heimatgeschichte. Darüber hinaus bin ich auch noch aktiv im Männerchor /Chorgemeinschaft Höingen-Voßwinkel.
Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Als Kind wollte ich tatsächlich unbedingt Pastor werden. Zu diesem Wunsch meinte mein Vater: Beamter ist gut, also Postbeamter. Nach zwei Jahren nicht unbedingt befriedigender Erfahrungen überzeugten mich gute Freunde, meinen Traumberuf als Lehrer zu verwirklichen, also Abitur, Studium etc.
Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Den „Hausmann“ fordern Haus und Garten. Dazu gehört ein geordneter Alltagsablauf mit Arbeit für und Proben im Männerchor, Engagement im Arbeitskreis Dorfgeschichte, das ist vor allem aufwändige Archivarbeit und das Erstellen von Dokumenten und Artikeln.
Wichtig ist mir auch die Pflege von Freundschaften und Bekanntschaften, z. B. beim Wandern und Radfahren.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist für mich mehr als eine Postleitzahl, sie ist erste Erfahrung, der vertraute Lebensraum, sind Nachbarn und Freunde, die gewohnten Feste. Heimat ist Landschaft, ein Ort zum „Verstehen“, wo man sich geborgen fühlt.
Heute hören wir überall Appelle, Heimat zu pflegen, Heimatverantwortung zu tragen - wie aber soll das gehen? Die kommunale Neugliederung 1975 hat die Selbstständigkeit vieler Dörfer zerstört, durch den Weggang vieler Pfarrer wurde das Selbstbewusstsein erschüttert. Die Erfahrungen von Globalisierung und Migrationsschüben haben Heimat zu einem politischen Thema gemacht, das keine Ortsbindung mehr kennt.
Worum sorgen Sie sich derzeit am meisten?
Ich teile derzeit die Sorgen vieler Menschen in Deutschland und Europa: Unsicherheit durch Krieg in Europa, Sorgen um Frieden und friedliches Miteinander, Klimakatastrophe und die großen Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit. In unserm gemeindlichen Lebensraum bewegt mich die Sorge um den Erhalt des nachbarschaftlichen Miteinanders, um Vielfalt des Vereinslebens, um Verantwortung füreinander.
Haben Sie ein besonderes Anliegen an Ihre Mitmenschen?
Ich nehme noch mal den Begriff „Heimat“ auf. Er wird heute knapp 64 Mal pro eine Million Wörter in repräsentativ zusammengestellten Textkorpora gebraucht, was man durchaus als inflationär bezeichnen darf und der Nostalgie um den Begriff geschuldet sein dürfte. Für mich ist die gemeinsame Erfahrung von Heimat wesentlich, und genau die wird nicht mehr angemessen berücksichtigt. Es bleibt Aufgabe der Aktiven und Engagierten in unseren Dörfern, das gesellschaftliche Leben zu gestalten und zu beleben. Es wäre ein Albtraum, wenn unsere Dörfer nur „Schlafstätten“ der Städte würden.
Alex Paust, geb. 1945 in Voßwinkel absolvierte nach der Volksschule eine Lehre bei der Deutschen Bundespost, erwarb danach am Westfalen Kolleg Dortmund sein Abitur, studierte Germanistik und Sozialwissenschaften und arbeitete bis zum Ruhestand 2010 als Lehrer am Franz-Stock Gymnasium in Neheim-Hüsten.
Er war SPD Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Arnsberg und bis 1999 ehrenamtlicher Bürgermeister von Arnsberg.
2000 erhielt er den Ehrenring der Stadt Arnsberg und 2004 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Er ist Ehrenbürger der rumänischen Partnerstadt Alba Julia.
Sein 2020 erschienenes Buch „Geschichte der Schule in Voßwinkel“ handelt von 200 Jahren Geschichte des Volksschulwesens im Dorf.