Handwerkskammer Südwestfalen: Team Fachkräftesicherung auf breiter Front im Einsatz
Text: Paul Senske
Es ist ein „Kampf“ um die knapper werdende Ressource Jugendliche: Die Gewinnung von Auszubildenden und die Sicherung von Fachkräften ist eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre für Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Das gilt auch und besonders für das Handwerk. Das Team Fachkräftesicherung der Handwerkskammer Südwestfalen ist dabei auf breiter Front im Einsatz. „Wir müssen alles aufbieten, um uns von anderen Wirtschaftsbereichen abzuheben“, betont Verena Kurth. „Wir können es auch.“
Verena Kurth, seit 2011 bei der Handwerkskammer, leitet das sechsköpfige Team Fachkräftesicherung, das angesichts des sich verschärfenden, massiven Fachkräftemangels gezielt und kreativ die Probleme anpackt. „Der Fachkräftemangel zieht sich durch alle Handwerks-Berufe.“ Die Folgen könnten massiv sein und wichtige Zukunftsprojekte infrage stellen. Einige Beispiele: Die Energiewende ist in Gefahr, wenn Fachkräfte wie Anlagenmechaniker (SHK), Elektroniker oder Dachdecker (Solaranlagen, Dämmung) fehlen. Es fehlen Straßenbauer für die Sanierung von Straßen und Brücken. Für den dringenden Wohnungsbau besteht ein großes Defizit an sämtlichen Bauberufen. Angesichts der alternden Gesellschaft werden nicht nur Pflegekräfte gesucht, sondern auch das gesundheitstechnische Handwerk benötigt mehr Fachkräfte wie Hörakustiker, Orthopädiemechaniker oder Schuhmacher. Dass Handwerksberufe wie Bäcker, Fleischer oder Friseure massiv betroffen sind, hat sich seit Jahren angedeutet, verschärft und bedarf dringend einer Umkehr. „Die Fachkräftesicherung für die 130 Berufe ist die große Herausforderung“, so Kurth. „Wir gehen sie an und können es auch.“
Mobile Schülerwerkstatt als Erfolgsmodell
Dabei setzt die Handwerkskammer bei der Nachwuchsgewinnung an und geht dabei in die Schulen. „Im Handwerk wird buchstäblich etwas getan, das können wir direkt im Klassenzimmer demonstrieren.“ Angelehnt an die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) wurde die mobile Schülerwerkstatt entwickelt: Die Schüler:innen können mit praktischen Übungen aus ca. 15 Gewerken ausprobieren, wo ihre handwerklichen Stärken liegen, und so berufliche Perspektiven kennenlernen. Mit im Boot sind Betriebe und auch Ausbildungsbotschafter, die - selbst noch Azubis und von der Handwerkskammer eigens geschult sind - vom Beruf erzählen oder ihn auch demonstrieren.
Das Projekt HANDgedreht ist ein weiterer, bedeutender Baustein. Dabei werden Erklärvideos gedreht, um die Übungen auch ohne Begleitung durch Ausbildungsbotschafter:innen oder Betriebe vorführen zu können. Ein professionelles Filmteam unterstützt Betriebe, Auszubildende und auch Schüler:innen dabei, die Videos selbst zu drehen. Die Filme veranschaulichen in der Schule die Übungen und leiten zu Praxisübungen an. „Wir sind sehr dankbar durch die Förderung der Erklärvideos im Rahmen des Projekts HANDgedreht“, sagt Kurth. „Die Videos werten die Schülerwerkstatt als Erfolgsmodell weiter auf.“ Nicht nur die Schulen bemühen sich verstärkt um die Schülerwerkstatt, auch die Ruhr-Universität Bochum und die Hochschule Esslingen sind darauf aufmerksam geworden und können sich entsprechende, gemeinsame Projekte mit der Handwerkskammer vorstellen.
Hier finden Sie eine Übersicht über die verschiedenen Aufgaben mit Erklärvideos. Diese wurden im Rahmen des Projekts "HANDgedreht" erstellt.
„Wir brauchen auch schwächere Schülerinnen und Schüler“
Verena Kurth legt Wert auf die Feststellung, dass auch schwächere Schüler:innen gute Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben. „Schüler, die zum Beispiel Schwächen in der Mathematik haben, machen vielfach in der Ausbildung eine positive Entwicklung durch und werden gut aufgefangen, wenn sie von den Betrieben gefördert werden und durchhalten.“ Andererseits - so Kurth – werden Schüler:innen mit Abitur und Top-Noten gesucht, die „das Unternehmer-Gen haben“ und später die Betriebe leiten. Auch die Eltern werden in die Nachwuchsgewinnung mit digitalen Elternabenden eingebunden. Betriebe erzählen von den Berufen, die Eltern können Fragen stellen. „Wir sind die Brückenbauer zwischen Schule und Handwerk.“
Langfristige Sicherung von Fachkräften
Neben dem Werben um Nachwuchs geht es um die langfristige Sicherung von Fachkräften. Persönliche Betriebsberatungen, Entwicklung von Projekten oder Veranstaltungen zum Thema Fachkräftesicherung werden u. a. vom Kammer-Team angeboten. Dabei geht es auch um die Integration von Geflüchteten: „Wir brauchen die Menschen aus dem Ausland. Wir helfen bei der Integration von Geflüchteten mit unserem Projekt Willkommens-Lotsen.“ Auch um Menschen mit Handicap müsse geworben werden, das gelte zudem für einen höheren Anteil an Frauen. „Die Betriebe müssen bei der Nachwuchsgewinnung und der Fachkräftesicherung mehr für sich werben. Viele Arbeitgeber stellen ihr Licht unter den Scheffel. Intern machen sie viel für ihre Beschäftigten, extern haben sie noch viel Luft nach oben.“ Ihren Anspruch formuliert Verena Kurth so: „Ich will, dass das Handwerk auf der staubigen Ecke herauskommt und zeigt, wie innovativ es ist.“
3.300 Betriebe bilden in Südwestfalen aus
Die Handwerkskammer Südwestfalen hat ihren Sitz in Arnsberg und ist eine von 53 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Kammerbezirk umfasst den Hochsauerlandkreis, den Kreis Olpe, den Märkischen Kreis sowie den Kreis Siegen-Wittgenstein. Der Kreis Soest gehört zur Handwerkskammer Dortmund. In der Handwerkskammer Südwestfalen sind derzeit rund 12.000 Betriebe mit rund 59.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern registriert. Mehr als 3.300 Betriebe bilden aus und qualifizieren damit über 5.500 Auszubildende für deren weitere Karriere. Der Frauenanteil liegt nach Angaben der Kammer bei gut 20 Prozent. 2007 hat die Vollversammlung der Kammer beschlossen, die ursprüngliche Handwerkskammer Arnsberg, die 1900 als Körperschaft des Öffentlichen Rechts gegründet worden war, in „Handwerkskammer Südwestfalen“ umzubenennen, um so den Bezug zur Region herzustellen.
„Fachkräftesicherung überlagert alle anderen Themen“
Für den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, steht die Fachkräftesicherung an oberster Stelle. „Das überlagert alle anderen Themen, weil letztlich davon abhängt, ob wir die großen Transformationen, etwa beim Klimaschutz, überhaupt zu stemmen in der Lage sein werden“, sagte er in einem Gespräch mit der Wirtschaftswoche im Januar 2023. Zugleich befürchtet Dittrich, selbst Dachdeckermeister, dass der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren in einen kritischen Bereich gelangen kann, wenn die Babyboomer-Jahrgänge (Anmerkung der Redaktion: geburtenstarke Jahrgänge 1946 - 1965) in Rente gehen. „Die Gefahr besteht, dass dann im Handwerk bestimmte Dienstleistungen nicht mehr angeboten werden können. Wir müssen durch gemeinsame Kraftanstrengung von Politik und Handwerk verhindern, dass diese Situation eintritt.“
„Bildungswende“ gefordert
Notwendig sei unter anderem eine „Bildungswende“ hin zu einer größeren Wertschätzung der beruflichen Bildung, die ihrer „zentralen Bedeutung“ entspreche. „Akademiker und Berufspraktiker sind gleichermaßen wichtig für die Modernisierung und die Transformation.“ Ein Aspekt sei, dass akademische und berufliche Bildung finanziell gleichwertig behandelt werden. Zudem sei wichtig, auch den jungen Menschen eine Ausbildungschance zu geben, „die bisher eher weniger eine Chance“ hatten. Nicht jeder müsse Abitur haben, der im Handwerk arbeitet, obwohl das Handwerk extrem gute Leute brauche. Junge Menschen, mit keinem oder schlechten Schulabschlüssen, müssten in Ausbildung gebracht werden. Auch mehr Langzeitarbeitslose müssten die Chance bekommen, im Handwerk Fuß zu fassen. Das gelte auch für den Anteil von Frauen. Zuwanderung aus dem Ausland sei eine weitere, wichtige Maßnahme. Dittrich plädierte in dem Interview deutlich für die Nutzung von Innovationskraft. „Wenn es im Handwerk zu wenige Menschen gibt: Warum nutzen wir nicht die Innovationskraft, die im Handwerk selbst steckt und machen uns die technischen Möglichkeiten noch mehr zunutze als bisher?“ Durch den stärkeren Einsatz von Techniken könne man Arbeiten körperlich erleichtern, wie zum Beispiel Fliesen in die fünfte Etage zu tragen.
5,6 Millionen Beschäftigte im deutschen Handwerk
In der Bundesrepublik Deutschland sind über eine Millionen Handwerks-Betriebe registriert. Die Zahl der Auszubildenden beläuft sich auf rund 360.000. Das Handwerk umfasst über 130 Berufe aus den Bereichen Bau- und Ausbau, Metall und Elektro sowie Holz und Kunststoff.