Aus der Bahn fallen – und doch noch die Kurve kriegen Iserlohns Streetworker Fern Ströter hilft jungen Menschen wieder auf die Sprünge

Ein Ziel der Europäischen Union ist es, dass alle Menschen eine berufliche Perspektive erhalten. Alle schließt auch die jungen Menschen ein, die in schwierigen Lebensverhältnissen stecken. In Iserlohn kümmert sich Streetworker Fern Ströter – gemeinsam mit seinen Teamkollegen Alexander Mularzyk und Frank Müller - um die 18 bis 27-Jährigen. Ströter ist Leiter des vom Europäischen Sozialfonds geförderten Projektes „Sprungbrett“.   

Text: Christel Zidi
Fotos: Marc Niemeyer 

Wie wird ein BAföG- wie ein ALGII-Antrag ausgefüllt? Wie kann man einen Abzweigungsantrag bei der Kindergeldkasse beantragen? Viele, auch junge Menschen fühlen sich schnell überfordert, wenn es um das Ausfüllen von Formularen geht, weiß Streetworker Fern Ströter. Einen Großteil seiner Arbeit verbringt er nicht im Büro, sondern „vor Ort“: „In der Regel bin ich zu 60 % draußen. Die Ämterbegleitung gehört auch dazu – wenn gewünscht. Das sind zwar Verwaltungsaufgaben – aber für mich auch direkt die Arbeit am Menschen.“ 

Gegen die Obdachlosigkeit 

Hausbesuche „in der Wohnung“ gehören zu seinen Aufgaben. Mit der „Wohnung“ sind drei kleine Apartments gemeint, die die Stadt Iserlohn angemietet hat, um der Basisherausforderung Obdachlosigkeit entgegenzuwirken: „In unseren tagestrukturierenden Maßnahmen und auch in den Jugendberatungsstellen hatten wir immer wieder junge Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren oder tatsächlich schon obdachlos waren, bzw. wohnungslos, weil obdachlos sind fast alle nicht. Die haben dann bei Kumpels auf der Couch geschlafen oder bei der Freundin oder sind mal bei Oma und Opa untergekommen. Das ist natürlich kein Umfeld, in dem man sich auf eine Ausbildung, vielleicht auf eine Maßnahme konzentrieren kann. Die Sorge, wo man die nächste Nacht oder die nächste Woche schlafen kann, erscheint gravierender. In den zur Verfügung gestellten Wohnungen können sie sich quasi noch einmal darauf konzentrieren, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen möchten.“ 

Eine gelungene Maßnahme, denn Ströter kann tatsächlich so einige Erfolge verbuchen. Einen jungen Mann z. B., der eine Ausbildung zum Koch begonnen und abgeschlossen hatte: „Das war auch mein erster Jugendlicher, den ich im Projekt hatte. Der hat mir letztens geschrieben, wie gut es ihm getan hat, dass er dort erst mal wieder zur Ruhe kommen konnte, dass er sich orientieren konnte.“ 

Aus allen Schichten 

Die Jugendlichen kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die Bildungsniveaus reichen von der Förderschule bis zum Gymnasium. Fern Ströter berichtet weiter von einem jungen Mann, der in der Zeit bei ihm das Abitur gemacht hat und anschließend eine Informatikausbildung bei einem großen Unternehmen in Iserlohn. Auch eine junge Frau war dabei, die ihr Vollabitur machte und danach Nuklearbiologie an der FH Südwestfalen studierte. Einige sind in den Bereich soziale Arbeit gegangen: „Sie brauchten einfach noch ein oder zwei Runden und sind dann in eine schulische Ausbildung gegangen.“ 

Ein schwieriges Zuhause 

Die Gründe für den Auszug der Jugendlichen sind unterschiedlich: „Oftmals ist es so, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt, die eskalieren und dieser Zustand für beide Seiten dann nicht mehr haltbar ist“. Oftmals sind es auch Mädchen mit Migrationshintergrund, meist muslimische Mädchen, die eine eher westliche Form für sich wählen möchten, das zuhause aber nicht können oder dürfen. Als Folge werden sie aus dem Elternhaus geworfen. Dass diese jungen Mädchen verheiratet werden sollen, hat der Streetworker bisher nur einmal erlebt, den kulturellen Konflikt aber öfter.  

Die Gründe dafür, dass es zuhause nicht mehr funktioniert, sind äußerst vielfältig: „Da ist die Range ist richtig, richtig groß. Manchmal ist es so, dass es eine Suchtgeschichte innerhalb der Familie gibt. Dass Eltern einfach völlig überfordert damit sind. Dann gibt es vielleicht physische Auffälligkeiten, sowohl bei den Eltern als auch bei Kindern.“ 

Viele Hilfen seitens der Stadtverwaltung

Da sich das Projekt „Sprungbrett“ speziell an Volljährige wendet, sind Eltern selten Ströters Gesprächspartner. Das Verhältnis beider Seiten ist zu diesem Zeitpunkt meist schon zu zerrüttet. Kommt es ausnahmsweise doch dazu, muss er von seiner Schweigepflicht entbunden sein. Den Eltern der unter 18-Jährigen gibt den Tipp, sich direkt an die Jugendberatungsstellen der Stadt oder auch an den Allgemein Sozialen Dienst des Jugendamtes (AJD) zu wenden. 

Seine Kollegen von der YOUgendberatung kümmern sich u. a. um Ausbildungs- und Praktikumsplätze für die Jugendlichen, schreiben mit ihnen Bewerbungen etc. YOUgendberatung ist die erste Anlaufstelle für alle bis 26.  

Bis zu Juni d. J. war das Jobcenter Kooperationspartner des Projektes „Sprungbrett“. Es gab auch über die Jugendberatung Zugänge, über die tagesstrukturierenden Maßnahmen, und über den AJD. Weiter über die Wohnungslosen-Hilfe der Diakonie und über den Straffälligenverein „Knackpunkt“. Seltener über die Schulsozialarbeiter der weiterführenden Schulen. 

Vom Erzieher zum Streetworker 

Der 46-jährige Ströter (sein Alter sieht und merkt man ihm nicht an) ist gelernter Erzieher mit abgeschlossenem Sozialpädagogik-Studium. Nach einem Praktikum bei der Stadt Iserlohn wurde er dort als Streetworker eingestellt („Das wollte ich immer gern werden“) Aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen leitete er acht Jahre lang eine Kinder- und Jugendtreff. Ein guter Job, aber keiner, der ihn wirklich erfüllte.  

Dann gab es die Idee zum „Sprungbrett“ - aber keinen, der das Projekt übernehmen wollte. Weil Ströter bis dahin noch nie Beratung gemacht, zögerte er zunächst, entschied sich dann aber dafür. „Das ist für mich ein richtiger Glücksfall, eine sehr erfüllende Aufgabe.“ Einen großen Vorteil seiner Arbeit sieht Ströter darin, dass er nicht in einem Zwangskontext ist: „Die jungen Menschen kommen alle freiwillig zu mir. Das nimmt eine Menge Druck raus, den die jungen Menschen sowieso schon haben.“ 

„Bei einigen ist es vielleicht auch so, dass der Leidensdruck noch nicht hoch genug. Die brauchen dann einfach noch ein paar Monate, bis die sich wieder melden.“ Bei ihm gibt es keine Sanktionen: „Wenn die sich nicht melden, ist es erst einmal deren Problem. Da müssen sie da erst einmal allein durch. Einmal gab es elf ausgemachte Termine. Und beim 12. Mal ist der junge Mann dann erschienen. Ich fand es mega, dass er dann da war.“ 

Ein neuer Antrag an den Europäischen Sozialfonds ist gestellt. Wird dieser positiv beschieden, heißt das Projekt ab Januar 2023 „Starte deine Solokarriere“. 

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